Am 24. Oktober 2024 präsentiert Mikheil Charkviani im Kleinen Haus des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden eine moderne Interpretation von Sophokles‘ Antigone. Zwölf Klaviere erzeugen gemeinsam mit elektroakustischen Elementen und Live-Musik des Komponisten Erekle Getsadze eine vielstimmige Klanglandschaft. Videoprojektionen dokumentieren aktuelle Protestbewegungen und schaffen Verbindungen zwischen antiker Tragödie und zeitgenössischen Konflikten. Roland Schimmelpfennigs Überarbeitung legt den Schwerpunkt auf selbstloses Handeln und die Verantwortung demokratischer Gemeinschaften. Die Inszenierung dechiffriert Machtstrukturen mit eindringlicher Ästhetik.
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Antigones Weigerung, Bruder zu bestatten, steht für menschliches Aufbegehren
Die Erstaufführung von Mikheil Charkvianis Version der Tragödie Antigone unter der Bearbeitung von Roland Schimmelpfennig fand am 24. Oktober im Kleinen Haus des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden statt. Antigones Weigerung, den vom König verbotenen Leichnam ihres Bruders zu bestatten, wird als exemplarisches Beispiel existenziellen Widerstands dargestellt. Diese dramaturgische Entscheidung stellt das sentimentale und politische Fundament der Inszenierung dar und formt das gesamte Bühnengeschehen zu einem intensiven Appell an individuelle Handlungsfreiheit nachdrücklich.
Humanitäre Revolte Antigones setzt Ideale über staatliche Gesetze hinweg
Charkvianis Interpretation rückt den menschlichen Widerstandsakt von Antigone in den Vordergrund und sieht in ihrem Handeln einen humanitären Appell gegen autoritäre Gewalt. Die Figur stellt kollektive Ideale über juristische Normen und legt so die ambivalente Schönheit von Protest und die erschütternde Härte eines Aufbegehrens bloß. Ihr selbstgewähltes Schicksal wird als emblematische Chiffre genutzt, um drastische moralische Standpunkte in Extremsituationen sichtbar und erfahrbar zu machen. Die Dramaturgie verknüpft Ethik mit Dringlichkeit.
Dokumentarisch inspiriertes Klavierensemble verbindet klassische Tragödie mit modernem Sounddesign
Mit Unterstützung des georgischen Komponisten Erekle Getsadze entwickelt das Stück ein akustisches Gerüst, in dem zwölf Klaviere parallel erklingen und sich zu einem vielschichtigen Gesamtklang verweben. Elektroakustische Nachbearbeitung und Live-Performance ergänzen einander zu einer kohärenten Soundstruktur. Die entstehenden Klangmuster verstärken Spannungsmomente auf der Bühne, leiten Hörer durch emotionale Passagen und eröffnen dem Publikum neue Perspektiven auf die seelische Verfassung der Protagonistinnen und Protagonisten. Das Konzept intensiviert die Wahrnehmung dramatischer Nuancen.
Antike Handlung und moderne Proteste verschmelzen in dokumentarischen Videoeinspielungen
Die audiovisuelle Konzeption integriert dokumentarische Filmsequenzen, um die klassische Erzählung mit aktuellen sozialen Protestbewegungen zu verknüpfen. Spektakuläre Aufnahmen georgischer Demonstrationen treten in Dialog mit antiken Szenen und erzeugen so einen multiperspektivischen Blickwinkel. Zuschauer erkennen dabei, wie Universalität und Aktualität historischer Mythen zur kritischen Auseinandersetzung mit heutigen Machtstrukturen dienen. Die Projektionen fungieren als dynamische Legende, die tief in zeitgenössische Konfliktfelder und kollektive Erinnerungen eindringt. Sie verdeutlichen eindringlich die Kontinuität menschlicher Widerstandsakte.
Georgische Demonstrationen seit 1991 spiegeln sich in Antigone-Inszenierung wider
Die Aufführung macht historische Kontinuitäten zwischen den Umbrüchen des post-sowjetischen Raums und den aktuellen pro-europäischen Protesten in Tiflis sichtbar. Sie beleuchtet den Widerstandsgeist, der Bürgerinnen und Bürger dazu bewegt, mit künstlerischen Mitteln oder Massenkundgebungen gegen staatliche Machtstrukturen aufzubegehren. Indem sie persönliche Freiheit über Gehorsam stellt, treffen die Akteurinnen und Akteure bewusst eine Entscheidung, die ihr Leben und ihre soziale Existenz dauerhaft gefährden kann und belehrt, dass ziviler Ungehorsam Mut erfordert
Charkviani demonstriert politische Theaterkraft anhand seiner preisgekrönter Dokumentarinszenierung Exodus
Der kreative Kopf in Tbilisi gründete das Zentrum „Open Space“ sowie das South Caucasus Documentary Theatre Network, um neue Formen dokumentarischen Theaters zu fördern. In seinen Inszenierungen von „Medea“ und „Elektra“ kombiniert er klassische Erzählungen mit politischer Reflexion. Die preisgekrönte Aufführung „Exodus“ nutzt reale Bilder, um gesellschaftliche Konflikte sichtbar zu machen. Mit „Antigone“ feiert er sein Debüt am Hessischen Staatstheater Wiesbaden und erweitert seine internationale Präsenz seinen künstlerischen Horizont deutlich.
Theaterpremiere fordert Publikum zum Nachdenken über demokratische Werte heraus
Im Hessischen Staatstheater Wiesbaden verbindet die Neuproduktion antike Erzähltraditionen mit zeitgenössischem Engagement. Bühne und Diskurs verschmelzen hier zu einer performativen Plattform, auf der ästhetische Experimente und politische Statements Seite an Seite auftreten. Das Publikum wird Teil eines Reflexionsprozesses, der historische Stoffe als Spiegel für aktuelle Fragen zur Demokratie nutzt und dabei zur kritischen Hinterfragung eigener Werte aufruft. So entsteht ein intensives Spannungsfeld zwischen Traditionsbewusstsein und fortschrittlicher Gesellschaftskritik und kreativer Perspektiven.
Sophokles Klassiker neu interpretiert durch Klanginstallationen und politische Bilder
Die Aufführung von Mikheil Charkvianis Antigone im Kleinen Haus Wiesbaden nutzt zwölf Klaviere als instrumentale Basis für eine archaisch-modernes Klanggeflecht. Erekle Getsadzes Komposition kombiniert Live-Performance und elektroakustische Elemente, während dokumentarische Projektionen historische und aktuelle Aufstände simultan sichtbar machen. Sophokles Tragödie erhält durch Roland Schimmelpfennigs Bearbeitung politisches Gewicht. Die Inszenierung lädt zu Reflexionen über Zivilcourage, Staatsräson und ethische Grenzsituationen ein und initiiert so einen zeitgemäßen demokratischen Diskurs auf Augenhöhe mit Gegenwart.

